100-jähriges Jubiläum der NaturFreunde Weinstadt 4.11.2011
Die NaturFreunde OG Weinstadt, Verband für Umweltschutz, sanften Tourismus, Sport und Kultur, als Rechtsnachfolger des Arbeiterturnvereins „Turnerbund Strümpfelbach“ begehen heute ihr 100-jähriges Jubiläum. 100 Jahre wird nicht jeder. In BW gibt es 10 000 Menschen über hundert Jahre. In solch einem langen Leben macht man viel mit. Daher hat auch unser Verein bewegte Zeiten hinter sich. Der Spannungsbogen reicht vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, das Dritte Reich mit Verbot und Verfolgung auch unseres Vereins, der amerikanischen Besatzungszeit bis zur 2. Republik, der wiedervereinigten Bundesrepublik.
Unser Verein hat eine ausgeprägte politische Vergangenheit und ist auch heute politisch aktiv und hat die Nachhaltigkeit als Zielsetzung. Wir sind kein bloßer Wander- oder Geselligkeits- bzw. Gemütlichkeitsverein, sondern ein Verein mit klarer Tradition und seinen Wurzeln in der Arbeiterbewegung der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften.
Dabei bedeutet „Tradition nicht Asche zu bewahren, sondern eine Flamme am Brennen zu erhalten“:
Unsere modernen Leitideen Umweltschutz, sanfter Tourismus, Sport und Kultur sind tief verwurzelt in gesellschaftlicher Verantwortung und sozialer Gerechtigkeit. Dabei ist die ökologische Frage untrennbar mit der sozialen verbunden. Seit 1910 lautet das kämpferische Motto der NaturFeunde „Berg frei!“. Es ist ursprünglich Ausdruck nach mehr Recht auf Freizeit in den Bergen und der ganzen Natur. Natur nicht nur für die Privilegierten, sondern auch für die kleinen Leute.
Seit 1995 sind wir anerkannter Umweltschutzverband und arbeiten mit den anderen Naturschutzverbänden zusammen.
In einer Veröffentlichung 2006 hat der Kirchberger NaturFreund Fritz Olbrich unsere Arbeit gewürdigt und das NaturFreundehaus Strümpfelbach als das „Sechs-Sterne-Umwelthaus“ hervorgehoben. Er nennt: Thermosolar, Fotovoltaik, Geotherm (Erdwärmenutzung), Dachbegrünung, Streuobstwiese mit Heckenanlage und die drei Brunnenanlagen. Mittlerweile, im Mai 2010, konnten wir nach langer Vorbereitung den 8 km langen Strümpfelbacher Kulturlandschaftspfad im Rahmen eines Naturerlebnistages einweihen. Ein Rundwanderweg, der unsere vielseitige Kulturlandschaft entlang dem Keuperstufenrand und dem Schurwald unter Einbeziehung aller Elemente dieser Landschaft erschließt. Er soll das Interesse an Natur und Umwelt fördern und dabei naturkundliches, ökologisches und historisches Wissen, sowie praktische Naturschutzmaßnahmen vermitteln. Dank auch anwesender Mäzene , wie Peter Struwe, Werner und Margret Kuhnle, Karlheinz Weckerle (KSK) und OB Oswald für die Stadt Weinstadt, konnten wir die 14 500 € Gesamtkosten für Hinweisschilder, Infotafeln und Wildbienenhäusle schultern. Mittlerweile hat sich der Naturerlebnistag zur Förderung des Umweltschutzgedankens Anfang Mai mit vielseitigen Anbietern von regionalen Naturprodukten zu einer festen Instanz entwickelt. Auch unser Engagement zusammen mit anderen Vereinen und der Stadt Weinstadt zur Erhaltung der Streuobstwiesen ist ein Beitrag der unserem Vereinsprofil entspricht.
Und nun zurück zu den historischen Anfängen:
Als am 29.10.1911 der Arbeiterverein Turnerbund Strümpfelbach gegründet wurde, gab es hierzu eine Vorgeschichte. Diese wurzelt in der gesellschaftspolitischen Situation des letzten Viertels im 19 Jh.. Es ist die „Soziale Frage“. Damals drohten große Teile der ständig wachsenden Bevölkerung immer mehr zu verelenden, um als Proletariat dahinzuvegetieren. Nach Aufhebung der Bismarck´schen Sozialistengesetze (1878/1890) fanden die Ideen der Sozialdemokratie zur Verbesserung der sozialen Lage immer mehr Anhänger. Neben Gewerkschaften wurden Konsumvereine und sozialdemokratische Arbeitervereine gegründet.
Bei der Fabrikarbeit, z.B. in Cannstatt in der Mercedesschuhfabrik von Haueißen und Marx, kamen auch die Arbeiter aus den umliegenden Städten und Dörfern mit dem sozialistischen Gedankengut in Berührung. Insbesondere waren es die Waiblinger Auspendel-Arbeiter, die in ihrem Oberamt agitierten und auch öfters Ausflüge mit Musikerbegleitung, z.B. nach Strümpfelbach ins Lamm organisierten, um die dortigen Arbeitskollegen zu ermuntern sich politisch zusammenzuschließen und ihre eigene politische Arbeiterkultur zu entwickeln. Dies geschah erstmals 1905/07 mit der Gründung eines vorerst kurzlebigen sozialdemokratischen Vereins. Doch dieselben Arbeiter gründeten dann am 29.10.1911 einen ersten Strümpfelbacher Turnverein, den Turnerbund Strümpfelbach, um dann 1912 eine Neugründung des SPD-Ortsvereins mit 18 Mitgliedern durchzuführen. Dabei blieb es aber nicht. Es waren 41 junge Arbeiter unter ihrem Vorsitzenden Julius Sieber, die dann bereits am 4. Mai 1913 die erste Turnhalle auf Weinstädter Markung einweihten. Standort war „In den Steinwiesen“, Qudratmeterpreis 1,56 Mark, (Stundenlohn eines Schuhfabrik-Arbeiters 20 Pfennig), auf dem heutigen Parkplatz gegenüber der Gemeindehalle. Gebaut wurde eine 194 qm große Halle in Fachwerkbauweise unter Anleitung von Zimmermann Paul Hörsch. Da zu wenig Geld da war übernahm die Dachorganisation des Turnerbund vorübergehend die Halle für 2200 Mark. Doch der 1. Weltkrieg machte einen Strich durch die Rechnung. Die Halle wurde daher 1917 der Gemeinde angeboten und diese kaufte sie dann als Gemeindehalle für 3700 Mark und unter der Bedingung der Eintragung auf unentgeltliche Nutzung durch den Turnerbund.
Zehn Mitglieder waren gefallen und der Verein stark geschwächt. Zusätzlich kam es während der Revolution 1918/19 zur Spaltung der Arbeiterschaft in SPD, USPD und KPD. Die Strümpfelbacher Arbeiter wählten überörtlich alle drei Parteien gleich stark. Später schied die USPD aus und das Stimmenverhältnis verschob sich bis 1933 auf das Doppelte zugunsten der KPD. Bei den Gemeinderatswahlen bildeten sie eine überparteiliche „Freie Wählervereinigung“ und überwanden auch im Turnerbund die unterschiedlichen Richtungen indem sie sogar 1922 eine Sängerabteilung gründeten. Der Verein nannte sich danach „Arbeitersport- und Gesangverein Vorwärts Strümpfelbach“. Es gab zusätzlich zum Sport und Gesang Theateraufführungen als Winter- und Frühjahrsunterhaltung, so z.B. den „Esslinger Postmichel“.
1927 wurde ein prächtiges Sängerfest mit Fahnenweihe und Festzug ausgerichtet. Diese Fahne wird in unserem Gastraum aufbewahrt.
1925 wurde ein Consumverein gegründet um preiswert einkaufen zu können. 1928 kam immer mehr das Fußballspielen auf und die Gemeinde stellte im Breitgarten im „obersten Gewann“ ein Grundstück als Sportplatz zur Verfügung, praktisch unser heutiger Parkplatz. 1931/32 folgte der Bau einer Blockhütte mit Keller – das „Waldheim“. Im März 1933 wurde der Verein als staatsfeindlich vom Liquidator gelöscht und verboten. Die Mitglieder mussten Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. Die Blockhütte und alle Vermögensgegenstände, diese wurden akribisch aufgelistet, wurden beschlagnahmt und der NSDAP Strümpfelbach übereignet. Auch die Fahne musste auf dem Rathaus abgeliefert werden und es gab Order sie zu verbrennen. Sie überlebte jedoch diese Anordnung.
Am 1.Mai 1937 erwarb Nazidichter, Gaukulturwart und NS-Ehrenbürger von Strümpfelbach Dr. Georg Schmückle das Waldheim durch Privatvertrag mit der NSDAP. Er kaufte auch das der Gemeinde gehörende Grundstück zu 20 Pf. den qm.
Bereits im Juni 1945 versuchten die Arbeiter ihr Blockhaus wieder zu bekommen, aber es sollte noch Jahre dauern. Im Sommer 1946 wollten die Arbeiter einen neuen Sport- und Kulturverein gründen, jedoch kam es zu massiven Behinderungen durch die Ortsbehörde. Bürgermeister Ritter meinte: „Wir brauchen keinen Verein mit klassenkämpferischen Zielen, das führt nur zu Streit im Dorf“. Außerdem durfte laut Anweisung des Landrats nur ein Verein einer Art wieder gegründet werden. Und da waren die Konservativen bereits schneller. Schließlich einigten sich die Arbeiter darauf einen Wander- und Kulturverein als Ortsgruppe des bereits von der Militärbehörde genehmigten Landesverbandes der NaturFreunde zu gründen. Dem widersprechenden Ortsschultes schrieb der Landrat: „Die NaturFreunde haben bereits eine Lizenz der Militärregierung, eine Ablehnung durch örtliche Behörden dürfte daher nicht möglich sein und ist im demokratischen Staat auch nicht tragbar“.
1948 folgte die Anerkennung als Rechtsnachfolger des Arbeitervereins und am 10.12.1949 erhielten die NaturFreunde vom Amt für Wiedergutmachung das Blockhaus zurückerstattet.
Bereits während der Renovierung der alten Blockhütte reifte der Gedanke eines Neubaus. 1953/54 wurde dann ein erster Bauabschnitt errichtet und am 7.-9. Mai 1954 eingeweiht. Rund 3000 kamen zu diesem überwältigenden Fest. Im Sommer 1959 folgte dann das Richtfest des 2. Bauabschnitts mit Keller, Küche ,Toiletten. Weitere wichtige Daten sind: 1971 Wasserleitungsbau einer 1,2 km langen Leitung nach Lobenrot, 1973 folgt der Bau der 750 m langen Abwasserleitung hinunter ins Strümpfelbachtal. 1978 Umbau des NaturFreundehauses. 1995 Luginslandanbau mit dem Panoramablick hinunter auf die Waiblinger Bucht und hinaus ins Gäu. 1996/97 Thermosolar und Fotovoltaikanlage. 1999/2000 Erweiterung des Sanitärbereichs und der Fotovoltaikanlage. 2006 Umstellung von Öl- auf Erdwärmeheizung.
In den letzten Jahren wandelte sich der hausbetreuende Touristenverein zum anerkannten „Verband für Umweltschutz, sanften Tourismus, Sport und Kultur“
Unserem Verein möchte ich für die Zukunft wünschen, dass sich auch weiter Personen finden, die bereit sind sich für unsere Ziele einzusetzen um das vorhandene Erbe fortsetzen.
Wolf Dieter Forster, Vorsitzender